Dienstag, 15. Mai 2012

Der ultimative Blogeintrag


Nachdem ich mich nun schon wieder ne Weile nicht in meinem Blog betätigt habe, obwohl ich mir das fest vorgenommen hatte (an dieser Stelle ein kleiner Zwischenkommentar der Autorin: "Scheiße, vergeht die Zeit gerade schnell!!!“), hier ein Nachtrag aller wichtigen und, wie ihr es von mir gewohnt seid, besonders der unwichtigen Ereignisse.


Die Monster aus meinem Englischunterricht

In der letzten Zeit haben sich meine Aufgaben hier im Heim geändert, was teilweise auch durch die momentanen Ferien bedingt ist. So gebe ich jetzt zum Beispiel einer Gruppe von vier bis acht Mädchen zweimal täglich für eineinhalb Stunden Englischunterricht, der besonders darauf ausgelegt ist, den Mädchen freies Sprechen und solides Verstehen der Fremdsprache zu vermitteln. Es ist oft anstrengend, da das Lernniveau sehr unterschiedlich ist, die Konzentration schnell nachlässt und ich vor der Herausforderung stehe, einen Spagat zwischen „Ich-bin-die-große-Schwester-und-Spielgefährtin-und-Kummerkasten“ und „Ich-bin-die-Lehrerin-die-zwar-lockeren-und-interessanten-Unterricht-hält-aber-dennoch-was-vermitteln-will“ zu machen.

Ziel des ganzen Projektes ist es, die Mädchen fit fürs College zu machen, wo ausschließlich Englisch gesprochen wird – diese Aufgabe befindet sich für mich auf demselben Niveau wie: Überzeuge Opa Hans davon, Vegetarier zu werden.

(An dieser Stelle kommt ein symbolischer Absatz.)

Letzte Woche habe ich mit meiner Klasse das Vorstellen geübt. Sie sollten aufstehen und sich selbst nach verschiedenen Kriterien, die sich zunächst nur auf Äußerlichkeiten beschränkten, vor der Gruppe beschreiben.

An diesem Tag sollte ich vor eine zusätzliche Herausforderung gestellt werden, nämlich der, nicht zu lachen. Hier die besten Sätze (nur zur Sicherheit: ich unterrichte ausschließlich Menschen!):

„Ich habe ein fettes, quadratisches Gesicht.“
„Meine Nase sieht aus wie eine große Gurke und meine Ohren haben die Form von Mangos.“
„Ich bin sehr klein und habe winzige Arme.“
„Ich habe verlauste Haare.“
„Ich habe Pickel im Gesicht, aber ich bin wunderschön.“
„Ich habe zwei Arme, zwei Augen, zwei Ohren und zwei Beine mit vielen dunklen Haaren.“


Die Ratte

Liveschaltung. Es ist Mittwoch, der 9.Mai und ich skype mit Rahel, als ich plötzlich höre, wie ein großes Tier an der Seite meiner angelehnten Badezimmertür hochklettert. Zu diesem Zeitpunkt hoffe ich noch, dass es sich lediglich um eine große Echse handelt. Wieder auf das Gespräch mit meiner Liebsten konzentriert, verfluche ich die Fähigkeit des peripheren Sehens, als plötzlich ein riiiiiiieeeeeeeesiger, langer, dünner, krummer Rattenschwanz an meiner Tür runterhängt. Abrupt muss ich die Konversation beenden. Meine Blase drückt ohne Ende, doch in kann unter keinen Umständen ins Bad, nur über meine Leiche!!!

(An dieser geht ein herzlicher Dank an meine Mutter, die mir ihre Angst vor Nagern offensichtlich vererbt hat.)

Ich bin mal zur Abwechslung ganz Mädchen und vergieße ein paar Verzweiflungstränchen während mein gesamten Körper von Ekel-Gänsehaut überzogen ist. Ich rufe Hannes an und teile ihm mit, dass ich auf dem Dach schlafen werde. 


Antwort: „Da sind doch bestimmt auch Ratten.“

Klasse.

Irgendwann befreit sich mein Hirn aus dem Standby-Modus (ok, es benötigte ein wenig Zuspruch) und beschließt, die Mädchen um Hilfe zu bitten. Es ist bereits nach 22 Uhr.

Schließlich finde ich zwei angstfreie Helferinnen, die todesmutig in mein Zimmer gehen. Ich stehe zu diesem Zeitpunkt schluchzend im Büro, wo ich mich aus lauter Angst vor einer mir entgegen rennenden Ratte eingeschlossen habe.

Irgendwann klopft es am Fenster, ich zucke zusammen. „Sister, finished!“, ruft Durga, die Rattenfängerin. Erleichtert öffne ich die Tür und erblicke das Mädchen, wie es meinen Duscheimer in den Händen hält – mit der schwimmenden Ratte drin! Ich schreie was das Zeug hält und verbarrikadiere mich wieder im Büro; bis das Viech endlich draußen freigelassen wird (ich hätte in diesem Falle die Todesstrafe bevorzugt!). Nach einigen ausführlichen Verbeugungen vor meinen Lebensretterinnen und der Verteilung meines vollen Respekts nehme ich meinen leeren Duscheimer wieder mit ins Zimmer, ziehe von außen schnell die Badtür zu und verriegel sie. Nein, ich werde dieses Bad nie wieder angstfrei betreten können!

In der Nacht träume ich von Rattenschwänzen, die durch mein Gesicht fahren, von Rattenzähnen die an meinen Füßen nagen und von davon, wie dieses widerlichen Drecksviecher die Weltherrschaft an sich reißen. Ich wache kurzzeitig auf und habe apokalyptische Vorstellungen wie die, dass die Ratte in meinem Bad ihre Jungen zur Welt gebracht hat und die morgen früh auf mich warten, um sich zu rächen. Dann frage ich mich, ob die Ratte vielleicht Krankheiten hat und ob ich vielleicht morgen beim Berühren des Wasserhahns die Pest bekommen könnte.

Dann ist es soweit, es ist Morgen. Ich kann nicht ins Bad, ich kann es einfach nicht. Zwei Stunden liege ich mit drückender Blase im Bett und versuche mich zu überwinden: es hilft nichts.
Wieder rufe ich Hannes an.

„Du kannst nicht die nächsten drei Monate nicht mehr ins Bad gehen!“
„Ja, ich weiß.“
„Dann öffne jetzt die Tür und schau rein.“
„Ich kann nicht!“

Dieser Dialog findet etwa 5 fünf Minuten lang in ständiger Wiederholung statt. Ich beschließe mich, die Tür aufzuschließen, doch öffnen kann ich sie nicht.

Also stelle ich mich auf das gegenüberstehende Bett und versuche, meinen Latschen gegen die Tür zu werfen. Wie meine Statistik bei den Bundesjugendspielen schon vermuten lässt, treffe ich natürlich daneben.
„Dann flitz schnell zur Tür und tritt dagegen und dann springst du schnell wieder aufs Bett.“, lautet Hannes Rat.

Gemacht, getan. Leider hab ich so fest getreten, dass die Tür bis zum Anschlag aufgeht und dann gleich wieder zufällt. In dem Zeitpunkt als man hätte reinschauen können war ich mit dem Sprint zurück aufs Bett beschäftigt. Mist.

Naja, was soll ich sagen, nach etwa 20 Minuten Argumentation auf höchstem Niveau bin ich todesmutig ins Bad gegangen. Und das tue ich jetzt wieder regelmäßig, weil mir einfach nichts anderes übrig bleibt. Jedoch klopfe ich jedes Mal erst vorsichtig gegen die Tür und lausche dann, ob sich irgendetwas bewegt, bevor ich dann wirklich reingehe. Achja und am nächsten Tag habe ich mit einer ganzen Rolle Panzerband und etwa 60 Reißzwecken mein Badefenster verbarrikadiert (rein optisch könnte man meinen, es herrsche Krieg!). Und um auch die letzten Zweifel wegen Krankheiten zu beseitigen, habe ich alles geputzt und desinfiziert.
Um mein Trauma zu bekämpfen ging ich schließlich zu den Mädchen und berichtete nochmal allen von der Ratte.


Einziger Kommentar: „They only come, when the room is ugly.“

Na danke, jetzt musste ich auch noch den Rest des Zimmer putzen, man weiß ja nie…





Die Striche werden dünner

In meinem Zimmer hängt nach wie vor ein Countdown, wo ich jeden Abend einen Tag durchstreiche. Und jeden Abend stelle ich erschrocken fest, dass schon wieder ein Tag vergangen ist. Es gibt vieles worauf ich mich in Deutschland freue, aber ich habe auch wirklich Angst vor meiner Rückkehr, von Deutschland und davor, dass ich nicht mehr nach Deutschland passe.

Ich bin jetzt in diesem Moment voll und ganz in Indien angekommen, ich fühle mich jetzt indisch und (so absurd dieser Ausdruck angesichts der wenigen Privatsphäre und meiner gesamten Lebenssituation erscheinen mag) ich fühle mich frei.

Ich möchte mein Leben hier nicht zurücklassen, weil ich das Gefühl habe, dass es hier noch so viel für mich zu tun, zu entdecken und zu lernen gibt. Das gegenteilige Gefühl hatte ich damals, als ich Deutschland verlassen habe. Es gab dort nichts mehr für mich zu tun, zumindest nichts, was mich gereizt hat.
Deutschland zu verlassen war machbar, weil ich wusste, dass es nur ein Abschied auf Zeit ist. Indien zu verlassen, bedeutet ein Abschied für immer. Selbst wenn ich in den nächsten fünf Jahren nochmal herkommen sollte , hier wird alles anders sein. Ich werde nie wieder an diesen Punkt in meinem Leben zurückkommen und obwohl ich weiß, dass es gut ist, weiterzuziehen, dass oft wechselnde Lebensverhältnisse auf mich einen starken Reiz ausüben und ich Angst vor Stagnation habe, sehe ich momentan fast nur die schlechten Seiten, sehe nur, was ich weggeben muss, nicht aber, was ich dafür bekomme.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich an diesen Punkt kommen werden, niemals.
Es ist nur eine Phase, da bin ich mir sicher, und ich weiß, dass sie zu dem ganzen Projekt „Auslandsjahr“ dazugehört.

Während ich am Anfang und direkt nach Sri Lanka dicke fette Striche auf meinem Countdown gemacht habe, werden sie jetzt jeden Tag vorsichtiger und dünner. Und ich glaube nicht, dass sich das in den letzten drei Monaten ändern wird…

1 Kommentar:

  1. Ohje, wenn der Vergleich mit Opa Hans stimmt, dann scheinst du vor einer fast unlösbaren Aufgabe beim Englischunterricht zu stehen......
    Gruß Mama

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